Licht auf blinde Flecken
Im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen verstärken auch österreichische Forscher und Softwareentwickler ihre Anstrengungen, den Alltag barrierenfrei zu gestalten. Eine PC-Maus, die über Kopfbewegungen gesteuert werden kann, wird ebenso entwickelt wie eine Fernbedienung für Fenster, Türen und Lichtschalter.
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Mia Eidlhuber
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Michael Busboom surft viel. Das gehört zu seinem Job. Seit 20 Jahren arbeitet der gebürtige Amerikaner in der Computerbranche. Wenn er sich bei Amazon ein Buch bestellen will, dann hat er Glück: Das Webdesign des weltweit größtes Buchshops ist so gebaut, dass seine Software damit zurechtkommt, wenn sich Busboom aber in Wien bei Pizza Flitzer eine Pizza via Internet bestellen will, hat er Pech gehabt. Diese Seite ist für ihn (und seine Software) nicht lesbar. Michael Busboom ist blind und Marketingdirektor der Wiener Firma “Hand- shake”, die im vergangenen Jahr die deutsche Version von “Windows-Eyes”, einer Microsoft-Software für blinde und sehbehinderte Menschen, auf den Markt gebracht hat.
Was für den großen Rest der Menschheit selbstverständlich ist, nämlich im Internet zu surfen, wird für sehbehinderte Menschen erst mithilfe zusätzlicher Technologien möglich: einem Screenreader etwa, einer Software, die Menüs oder Dialoge des PCs sowie Textinhalte von E-Mails oder Webseiten vorliest oder einer Braille-Zeile, die Textzeilen in für Sehbehinderte ertastbare Zeichen umsetzt. “Es ist langsam im Werden”, sagt Busboom, “dass uns der Zugang zu neuen Medien ermöglicht wird.”
Besonders 2003, im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, gibt es mehrere Initiativen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die technologischen Barrieren für behinderte Menschen zu verringern. “Die Hürden sind noch immer enorm”, sagt Klaus Miesenberger, Leiter des Instituts “integriert studieren” an der Linzer Kepler Universität. Damit seine Forschungsprojekte im Bereich der Behindertentechnologien in Zukunft weitergeführt werden können, obwohl Fördermittel an den Unis knapp sind, wurde im Frühjahr im Softwarepark Hagenberg das “Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen”, kurz KI-I, gegründet. Erster Erfolg: Eine “Kopfmaus”, eine über Kopfbewegungen gesteuerte Maus, soll als Prototyp gebaut werden und schon bald preisgünstig für Menschen mit Lähmungen auf den Markt kommen.
Steuerung entwickelt
Die Technologien, die Behinderten helfen, erleichtern letztlich auch älteren Menschen das Leben. Genau diesen Gedanken hatten zwei niederösterreichische Firmengründer. Weil ein Onkel von Jürgen Schnabler vor zwölf Jahren einen Schlaganfall erlitt, haben Schnabler und sein Kompagnon Hans Peter Hinterbuchinger mithilfe des Regionalinnovationszentrums Niederösterreich (RIZ) die Firma Mechatron auf die Beine gestellt, die in Österreich Umgebungssteuerungssysteme vertreibt und neu entwickelt. So etwa ein einfaches “Ein-Tasten-System”, das über ein Präzisionsinfrarot Schwerstbehinderten ermöglicht, mit einer Fernsteuerung mit einem einzigen Knopf vom Rollstuhl aus sämtliche Barrieren zu überwinden und Geräte und Schalter zu bedienen: Türen, Fenster, Vorhänge, Lichtschalter, Radio, Fernseher, Computer oder den Lift.
Es sei nur logisch, dass gerade Behinderte oder ältere Menschen ihre Defizite an Leistungsfähigkeit durch technische Hilfestellungen kompensieren. Gerade weil moderne Errungenschaften wie Onlinezeitungen, -banking oder -shops für sie eine wirkliche Alternative wären. Doch selbst wenn Texte im Netz durch neue Software oder Spracherkennungsprogramme hör- und fühlbar werden, ist das Web noch immer ein Irrgarten: Grafiken, Bilder und Links können nicht in Blindenschrift übersetzt werden. Die Web Accessibility Initiative (WAI) hat zwar bereits 1999 Richtlinien aufgestellt, damit barrierenfreies Surfen möglich wird. Und auch alle EU-Staaten haben sich in der Initiative E-Europe verpflichtet, zumindest öffentliche Webseiten für alle zugänglich zu gestalten. Doch kaum jemand hält sich an die Richtlinien. Das Linzer Uni-Institut “integriert studieren” und andere Universitäten bemühen sich in einem Netzwerk um die Umsetzung eines barrierenfreien Webdesigns.
Genau um diese Barrieren zu umsurfen, hat sich der sehbehinderte Deutsche Joachim Frank seine “Klickblick”-Software ausgedacht. Blinde können sich hier von Sehenden quasi die Augen leihen, über das Web fragliche Sites zu so genannten “Blickern” schicken. Die Kommunikation läuft über Mikrofone oder via Chat. Die Gefahr ist aber groß, dass in der noch überschaubaren Klickblick-Community Fragen unbeantwortet bleiben, weil gerade kein “Blicker” online ist.
US-Forscher haben im vergangenen Jahr einen “Bildschirm” zum Tasten entwickelt. Dieser neue Prototyp soll grafische Internetseiten in Zukunft auch für Blinde übersetzen helfen. Weniger komplex wäre es, man würde sich an die Richtlinien für ein “Webdesign for all” halten – und Michael Busboom könnte sich seine Pizza bestellen.
www.softwarepark.at
www.mechatron.at
Gedanken werden lesbar
Wissenschafter an der TU Graz entwickeln Hirn-Computer-Schnittstellen
Seit einem Badeunfall konnte Thomas Schweiger nur den Kopf bewegen. Und den linken Arm, doch bisher ohne etwas greifen zu können. Durch ein an der TU Graz entwickeltes Verfahren kann der 30-Jährige nun selbstständig ein leichtes Glas aufheben und einen Apfel zum Mund führen, erzählt Gert Pfurtscheller vom Institut für Biomedical Engineering an der TU Graz.
Die nötigen Muskeln werden durch sechs auf dem Unterarm aufgeklebte Elektroden stimuliert. Und Schweiger aktiviert das Gerät über einen Schalter unter seinem Ellbogen – oder aber mental, mit seinen Gedanken. Wenn er daran denkt, seinen Fuß zu bewegen, werden die entsprechenden Gehirnströme im Beta-Bereich (20 Hertz) von zwei Elektroden erfasst und als Einschaltsignal weitergeleitet.
Seit zehn Jahren erforscht Pfurtscheller die Steuerung von Computern über Gedanken. Dabei werden die Hirnströme per Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet, über spezielle Programme analysiert und die intendierte Handlung “vorhergesagt”. Ein vollkommen gelähmter Wiener kann so mit seiner Umwelt kommunizieren: Buchstabe für Buchstabe wählt er per Denkimpuls aus und formt Worte. Damit die Impulse in einem für die Elektroden messbaren Bereich liegen – 20 bis 30 Millionstel Volt – müssen die Patienten monatelang trainieren. Denn ohne mentale Verstärkung ist das Signal zu schwach, so Pfurtscheller.
Elektroden im Kopf
Klarer wird das Signal, wenn es direkt aus dem Hirn kommt. Experimente dazu werden am US-Zentrum für Neuroengineering in Durham durchgeführt. Affen, denen Elektroden implantiert wurden, können über Gedanken einen Roboterarm bewegen. Dabei werden die Elektroden aber tief ins Hirn gestochen. Zwar auch mit einem Eingriff verbunden, aber weniger riskant ist das Auflegen von Elektroden auf das Gehirn, durch ein kleines Loch im Kopf. Dabei arbeitet Pfurtscheller mit der Universität Michigan zusammen. In einem fünfjährigen Projekt werden Daten von Epilepsie-Patienten analysiert, denen zur Lokalisierung ihrer Krankheit Hunderte Elektroden aufs Hirn gelegt werden. “Die Vision dieser Forscher ist es, mit Gedanken einen Rollstuhl zu steuern”, erklärt Pfurtscheller.
www.dpmi.tu-graz.ac.at
Copyright by derStandard.at und Mia Eidlhuber, September 2003
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Eidlhuber. Vielen Dank.